Allein auf weiter Flur. Umgeben nur von Moorebenen, leicht brüchigen Bohlenstegen, einer kühlen Brise und der immerwährenden Gewissheit: Hier treiben sich Bären herum. Meine Liebe für Estland, dieses kleine nördlichste der baltischen Staaten lässt nicht nach. So viele Orte, die ich Euch ans Herz legen möchte. Heute das Endla-Naturschutzgebiet.
Wer Estland bislang noch keinen Besuch abgestattet hat, wird sich wundern. In Deutschland wäre dieser Platz sicherlich überlaufen und die ganze Mystik dahin. In Estland aber, wo in Reiseführern Plätze als überlaufen gelten, wenn andere Menschen diese ebenfalls besichtigen…Nein, keine Menschenseele trafen wir auf unserer Durchquerung des Endla-Naturschutzgebietes an.
Der Weg zum Moor: Die Männikjärve-Raba-Route
Zu Beginn aber ersteinmal die Frage: Wo ist es denn, das Moor, das „Raba“ in estnischer Sprache? Durch grüne Waldlandschaften streifend, die saftigen Moosflächen am Untergrund betrachtend, lauschten wir zwar gern den Geräuschen der Natur. Wir genossen diese Märchenatmosphäre. Ein Gefühl, als komme gleich eine buckelige alte Hexe um die Kurve, um uns in ihr Lebkuchenhäusche zu locken. Oder zumindest ein Prinz auf seinem Pferd. Eindeutig steigt in estnischen Ländern eine Mystik wie aus alten deutschen Grimm-Märchen empor.
Estlands Wälder sind aber mehr als nur einfach viele Bäume an einem Fleck. Auch wenn sie noch so schön sein mögen. Die Raubtierdichte Estlands ist eine der höchsten in Europa. Neben Braunbären, Luchsen und Wölfen, die mir seit Kanada einen ungeheuren Respekt einflössen, solange ich nicht von ihnen durch einen Zaun getrennt bin, wohnen hier noch weitere Exemplare. Hirsche, Rehe, Wildschweine, Hasen, Biber, Rotwild, Flughörnchen. Estland ist vor allem aufgrund seiner dünnen Besiedlung und der großen zusammenhängenden Waldgebiete ein ideales Revier für Waldtiere. Nun aber weiter auf der Suche nach dem Raba, während unsere Tochter hoch oben im Tragerucksack thront und die unbeschreibliche Aussicht genießt.
Das Moor im Endla-Naturschutzgebiet
Mein persönliches Glück: Mich durch die Weiten des Moores bewegen, den Blick über die sumpfige Landschaft streifend. Und immer doch ein bisschen ängstlich ob des Wissens um das uns umgebende Wildlife. Was ich besonders mag: Einerseits wirken Moorlandschaften immer recht karg auf mich. Andererseits gewöhnt man sich doch so sehr daran, dass ein kleiner Moorsee – zu estnisch „Järve“ – viel mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht und wertgeschätzt wird. Wir entwöhnen uns etwas der städtischen Reizüberflutung, sozusagen.
Je düsterer die Stimmung bei einem Moorbesuch ist, umso mehr sauge ich die Stimmung auf. Kennt Ihr das Gedicht „Der Knabe im Moor“ von Annette von Droste-Hülshoff? „Oh schaurig ist’s übers Moor zu geh’n, wenn es wimmelt vom Heiderauche, sich wie Phantome die Dünste dreh’n und die Ranke häckelt am Strauche…“ Diese mystische Beschreibung gefällt mir.
Rückweg vom Moorgebiet: Schwedisch anmutend und doch sehr estnisch
Man spürt an vielen Stellen in Estland einerseits die Nähe zu Russland (Sprache, Essen…), die alte deutsche Besetzungsgeschichte (Kriegsgräber, Essen…) aber auch die Nähe zu Skandinavien. Und so fanden wir auf dem Rückweg wie an vielen Stellen ein typisch anmutendes schwedisches Haus.
Aber auch das ist Estland: Neben vielen modernen Entwicklungen (Stuttgart führt so langsam öffentliches WLAN ein, Estland verfügt darüber schon sehr lange), ist doch der Verfall an viele Stellen sichtbar.
Fakten zum Endla-Naturschutzgebiet
- Wir sind die Männikjärve-Bog-Route gelaufen. Das ist für Familien eine gute Einsteiger-Wanderung.
- Auf 7 Kilometern seht Ihr sowohl Wald, als auch Moor als auch Seen und Flüsse. Bis zu 3 Stunden dauert es.
- In weniger als 2 Stunden ist Tallinn von hier aus erreichbar
- Tartu ist eine gute Stunde mit dem Auto entfernt.
Tipps für das Endla-Naturschutzgebiet
- Setzt Euch vorher einmal mit der Tierwelt auseinander.
- Besucht das Naturschutzzentrum zum Naturschutzgebiet vorher und nicht hinterher
- Für Familien mit kleinen Kindern empfehlenswert: Die 7-km-Runde mit Durchquerung des Moores und des Männik-Järve (Männik-See).
- Vergesst nicht Badekleidung: Man darf dort nämlich in den Moorseen baden. Wobei: Wenn eh keiner da ist…
- Ein Besuch des Moores ist gut einplanbar, da es fast in der Mitte Estlands liegt
- Um einen guten ersten Eindruck zu bekommen, reicht ein halber Tag für den Besuch aus
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